41: Cui bono, Mundartinitiative?

Dear Swiss people,

Ein Kommentar unter einem Artikel zur Mundart-Initiative der SVP im Kanton Zug hat mich heute amüsiert. Der Kommentator mit Screenname Angelo Hediger schreibt zum Vorhaben, den Gebrauch von Hochdeutsch in Kindergärten und in bestimmten Primarschulfächern zu verbieten:

Angelo Hediger

Recht hat er.

Diese Fächer nicht in Hochsprache zu unterrichten hat quasi Tradition in der Deutschschweiz. Und das gilt eben nicht nur für Kindergarten und Primar. Auch in Sekundar-, Kantons- und sogar Hochschulen der Schweiz wird, wenn irgendwie möglich, die Verwendung von Hochdeutsch häufig und mit Routine umgangen. Sicher vor Dialekt sind generell sprachliche Fächer. Der Rest ist Verhandlungssache. Für meine Sekundarschule würde ich zudem Hauswirtschaft, Religionsunterricht und „Textiles Gestalten“ auf die Liste der traditionell mundartlichen Fächer setzen setzen. Mindestens. Auch anderswo glitt man bei uns regelmässig in Mundart als Unterrichtssprache ab. Und damit meine ich nicht in erster Linie die Schüler. Nur zwei Lehrer sprachen konsequent Hochdeutsch mit der Klasse. Auf mein Gedächtnis ist in diesem Fall sehr gut Verlass, denn die ersten paar Monate meiner Sekundarschulzeit hab ich kein Wort verstanden, wenn jemand Mundart mit mir sprach.

Im August vor Beginn meines ersten Sekjahres waren wir in die Schweiz gezogen und weder ich noch meine Mutter hatten damit gerechnet, dass der Unterricht selbst in Mundart gehalten werden könnte. Die schrittweise Gewöhnung an den Dialekt war damit gegessen. Nun ging es darum, überhaupt etwas vom Unterricht mitzukriegen. Ein rechter Schock für mein kleines Streber-Ich, kann ich euch sagen. Zwar versicherten mir alle Lehrer, sie würden eh Hochdeutsch sprechen, aber dieses Versprechen hielt für gewöhnlich die jeweils ersten 5 Minuten an und war bald wieder vergessen. Diese Verweigerung von Erwachsenen und Mitschülern, Hochdeutsch selbst in offiziellen Zusammenhängen zu verwenden, nahm ich als Zeichen, dass ich lieber den Schnabel halten sollte, bis auch ich die neue „Landessprache“ beherrschen würde. (Und nein, Schweizerdeutsch ist nicht einfach für jeden verständlich, der Deutsch spricht. Vor allem nicht für Leute, die überhaupt keine Erfahrung mit süddeutschen Varietäten haben. In Grenznähe wäre die Sache womöglich anders gelaufen, aber dorthin hat es mich nicht verschlagen, sondern natürlich direkt in die Hochburg der Mundartverteidiger, nach Schwyz. Lucky me.)

Tja. Dazu kam es dann nie. Die Kombination dieser Isolierungserfahrung und der folgenden Welle an Antipathie und regelrechtem Mobbing aufgrund meiner Herkunft ist der Grund dafür, dass ich bis heute kein Schweizerdeutsch spreche. Und das, obwohl ich seit 11 Jahren hier lebe. (Wohlgemerkt spreche ich natürlich auch kein reines Schriftdeutsch. Und natürlich ist meine Art zu reden auch von schweizerdeutschen Dialekten um mich herum geprägt worden.)

Es geht mir nicht darum, mit dieser Geschichte Mitleid zu erregen. Ich weiss sehr wohl, dass das Gelingen der Integration zum grossen Teil auf Seiten des Individuums liegt. Mein Punkt ist vielmehr, dass die Verwendung von Mundart an Schweizer Schulen so verbreitet ist, dass sie selbst Schülern deutscher Muttersprache Schwierigkeiten bereiten kann. Der Dialekt ist in diesem Land wichtiger als die Integration von und die Kommunikation mit deutschsprechenden Ausländern und auch viel wichtiger als die Bedürfnisse von nicht-Deutschschweizern. Fragt mal die Tessiner Studierenden in Zürich. Fragt die Angestellten im Detailhandel aus Fribourg, die „nur“ Hochdeutsch können, und daher nur mit viel Mühe Jobs in der Deutschschweiz kriegen.

Schweizerdeutsch braucht keinen Artenschutz.

Nirgendwo sonst wird die Mundart mit härteren Bandagen verteidigt als hier.

Deshalb sollten wir uns fragen, was Initiativen wie diese erreichen sollen. Wer soll hier gegen wen verteidigt werden?

Die Mundart, okay. Aber wer greift sie denn an? Wieder einmal gibt die SVP vor, etwas zu beschützen, das gar nicht in Gefahr ist. Wieder einmal werden die Interessen der Deutschschweiz als nationale Belange inszeniert. Und wieder einmal schottet sich die Deutschschweiz nicht nur gegenüber dem Ausland, sondern auch gegenüber dem Inland ab.

Was würde das Durchsetzen der Initiative erreichen? Als Lehrpersonen kämen nur Leute in Frage, die Schweizerdeutsch sprechen. Damit disqualifizieren sich neben den üblichen Verdächtigen (Deutschen und Österreichern) auch eine ganze Menge Schweizer. Und weiter? Wollen wir vielleicht noch festlegen, welche Dialekte wo gesprochen werden dürfen? Nicht, dass in Zuger Kindergärten auf einmal bärndütsche Töne angeschlagen werden.

Die SVP spielt ein perfides und nationalistisches Spiel. Es geht nicht darum, Varietäten zu fördern, sondern die Hochsprache zu verbieten. Den Varietäten geht es gut, sie brauchen dieses Verbot nicht. Der Vorstoss impliziert eine Bedrohung, er schafft Angst um das vermeintlich gefährdete kulturelle Erbe. Die Partei, die sich so gerne als Beschützerin von Familien und Bildung aufführt, kümmert sich einen Dreck um die Ausbildung von Kindern oder um irgendwelche Bedenken zwecks Spracherwerb. Sie kümmert sich nur um ihre Vormachtsstellung in der Definition von nationalen Interessen.

Nützen kann die Mundartinitiative als inhaltlich leere Dominanzgeste nur einem; ihren Initianten.

3 Kommentare

  1. Ich weiss nicht, ob Sie das evtl. etwas voreingenommen sehen. Ich unterstütze die Initiative, dass Hochdeutsch verboten wird in keinster Art und Weise, aber ich lehne mich mal so weit as dem Fenster und behaupte, dass Sie sich wie ein „gebranntes Kind“ verhalten.
    Würden Sie von Schotten eine 100% Oxford-Englischpflicht im öffentlichen Leben erwarten? Man akzeptiert auch die amerikanische Schreibweise von colo(u)r. Ehrlich gesagt, ist es in der technisch-wissenschaftlichen Welt sogar angebrachter – Stichwort Recherche. Auch sind die US-amerikanischen Wörter (elevator, principal, gas(oline)) sind viel verbreiteter. Aber man würde nie von den Briten erwarten, sich der „neuen“/verbreiterten Version anzupassen. Ein anderes Land, mit eigenen sprachlichen Abwandlungen, soll vom dominanten Land dessen sprachliche Entwicklungen übernehmen, die es historisch/sprachgeschichtlich gar nicht miterlebt hat. In einer überspitzten Version könnte man das auch als Kulturimperialismus bezeichnen.

    Deutsche/Österreichische Mitbürger sollen nie gezwungen werden, den Dialekt zu sprechen. Aber man darf auch nicht erwarten, dass regionale Eigenarten verworfen werden. Die Menschen müssen miteinander sprechen können. Und wenn ich jemanden nicht verstehe, bitte ich ihn/sie das Gesagte zu wiederholen oder ins Hochdeutsche umzuformulieren. Die Problematik ist an sich gar nicht wirklich existent, wenn man sich sie nicht selber stellt.

    Nichtsdestotrotz freue ich mich wieder etwas von Ihnen zu lesen. Hatte schon befürchtet, dass Sie das Projekt eingestellt haben. Danke

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    1. Danke für den Kommentar! Ich erwarte von niemandem, die eigene Mundart zu verbergen, Verständlichkeit und Barrierefreiheit sollten aber Vorrang haben. Das halte ich persönlich auch so.

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  2. Angelo Hediger · · Antworten

    Jetzt fèhle ich mich ein bisschen Fame.

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