19: Sozialschmarotzer 

Dear Swiss people,

Wohin wendet man sich auf der Suche nach hochwertiger Schweizer Berichterstattung? watson hält sich für einen Mix aus Buzzfeed und vice (schön wär’s), der Tagi ist eindeutig vom Teufel besessen und der Rest, ach, der Rest… Aber auf die gute alte NZZ, das letzte Bollwerk gegen den Verlust von Stil und Anstand, wird man sich ja noch verlassen können.

Oder auch nicht. Denn aus einem mir unbegreiflichen Anfall von Zynismus und Menschenverachtung entschied sich die grande dame der Eidgenössischen Medienlandschaft diesen Beitrag zu veröffentlichen:

Liebes NZZ-Team, ich hab da mal ein paar Fragen: Was um alles in der Welt habt ihr euch dabei gedacht? Wie kann man diese abschätzige Haltung und widerwärtige Wortwahl rechtfertigen? Was hat die Bezeichnung „Sozialschmarotzer“ mit halbwegs anständigem Journalismus zu tun? Inwiefern ist die Aussage, er „gilt als faul“ etwas, das man einfach unhinterfragt stehen lässt? Die hier im Lead präsentierten Informationen sind ausserdem derart irreführend, dass es schon an mutwillige Täuschung grenzt.

Ja, der betreffende Mann hat insgesamt an die 250.000 CHF an Sozialleistungen erhalten. Aber über die Dauer von 8 Jahren! Die so exorbitant anmutende Summe klingt weniger schockierend, wenn man sich überlegt, dass dies monatlich auf 2600 CHF rausläuft.

Ausserdem wurden ihm nicht mangelnde Integritätsbemühungen vorgeworfen, sondern wiederholte Gewalttätigkeit und Verweigerung von Arbeit. Das rechtfertig jedenfalls nicht den Zwischentitel „Aggressiv und faul“, der Ton macht die Musik. Journalismus hat nicht zu klingen wie Zitate aus einem SVP-Pamphlet über Asylanten.

Es ist wirklich nicht so schwer zu verstehen: Nur, weil man nicht direkt lügt, ist es trotzdem unverantwortlich, in diesem sensationsheischenden und aufstachelnden Tonfall über politisch heikle Angelegenheiten zu reden.

Besonders in Anbetracht der grassierenden Fremdenfeindlichkeit hat gerade ein etabliertes und einflussreiches Blatt wie die NZZ eine gewisse Verantwortung, sich von allen Arten der Volksverhetzung klar fernzuhalten.

2 Kommentare

  1. kommentarjungfrau · · Antworten

    Was den Terminus Sozialschmarotzer angeht ist dieser Beitrag hier völlig korrekt. Eine derart polemische Auseinandersetzung mit der schweizerischen Medienwelt ist aber dennoch etwas verfehlt. Gerade das Tagi-Bashing, das unter phil 1-„Gstudierten“ Usus ist, und das ich als Tagi-Leserin nur bedingt nachvollziehen kann, ist hier ziemlich unangebracht. Gerade im Tagi erscheinen regelmässig Beiträge in denen die hiesige Fremdenfeindlichkeit dezidiert verurteilt wird.
    Zudem ist auch diese Kritik an der NZZ hier ziemlich aufgeblasen. Der Titel Sozialschmarotzer (der mich sehr stört) wurde geändert in „Wegen Sozialmissbrauch ausgewiesen“. Beim Artikel handelt es sich um einen sda-Artikel (das heisst um eine „unkommentierte“ Meldung), der lediglich aufzeigt warum der Mann ausgewiesen wird, und wie das Verwaltungsgericht seinen Entscheid begründete. Ob das ok ist kann sich der Leser selbst überlegen.

    Like

    1. Dass der Titel geändert wurde, zeigt gerade auf, wie sehr sich die NZZ im Ton vergriffen hat. Schön, dass das eingesehen wurde. Auch Beiträge der Depeschenagentur müssen nicht unbesehen übernommen werden, schlussendlich liegt diese Entscheidung bei der jeweiligen Redaktion. Der Tagi bringt tatsächlich öfters kritische Beiträge, die leider von der anderen Art zunehmend überschattet werden, siehe Datenblog und Portugiesen in Zürich. Und zum Thema Polemik, nunja. Die gönn ich mir gerne, anstelle zu diesen Dingen zu schweigen 🙂

      Danke für’s Lesen!

      Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: