38: Verbrennen der Landesflagge

Dear Swiss people,

 Flagge

Das Schöne an Facebook ist für mich, wie leicht die Leutchen Dinge über sich preisgeben, die in einer normalen Unterhaltung wohl nicht einfach aufgekommen wären. Das macht es dann direkt viel einfacher, in der eigenen Freundesliste die Spreu vom Weizen zu trennen.

Aufgrund eines Likes hat Facebook heute den Beitrag der Facebookgruppe „Ein dreifaches Fragezeichen“ mit mir geteilt, indem sich jemand in sehr bemühtem Deutsch darüber äussert, dass linke Chaoten am 1. August in Bern die Schweizer Fahne verbrannt hätten!!!1!11!

Ich weiss, auch ich bin ganz ausser mir. Oder wäre es zumindest, wenn mir ein buntes Stück Stoff zur Repräsentation von Nationalstaaten in irgendeinem Masse wichtig wäre. Meinetwegen darf man aus Flaggen Origami-Kraniche basteln oder sie als Badehandtücher verwenden. Nicht, dass ich solche albernen Aktionen wie die in Bern unterstütze, aber viel interessanter finde ich die Argumente, die der Verfasser in diesem recht langen Aufreger-Post bemüht:

Ebenso soll angemerkt werden, dass ich nicht gerade zum Vorzeige-Nationalisten tauge und meine Anderst-farbige Adoptivschwester über alles liebe (sic)

Ach so, dann ist ja alles klar wie Klossbrühe. Wer eine „Anderst-farbige“ Schwester hat und die auch noch liebt, kann natürlich keinesfalls Nationalist sein. Das sind halt die Regeln. Glaub ich.

Okay, vielleicht war der Spott hier zu subtil, also noch mal deutlicher: Wer Individuen als Strohmänner aufbauen muss, um sich vor Rassismusanschuldigungen zu schützen, macht sich direkt verdächtig. Es gibt keine Preise oder Belohnung dafür, dass man Leute kennt, die nicht weiss sind. Egal, wie lieb man die dann hat. Abgesehen davon kann man wunderbar nationalistisch sein, ohne dafür bei einer White-Pride-Parade mitzulaufen.

Weiter im Text.

Wie kleine, noch geistig unterentwickelte, Kinder rennen sie Jahr für Jahr mit dem Kopf gegen die Wand, während die SVP an Wählerstimmen gewinnt. Ändern sie deshalb ihre Taktik und versuchen Leute inhaltlich „aufzuklären“, anstatt Farbbeutel, Steine etc. zu schmeissen? Nein jetzt verbrennen sie auch noch das Symbol, welches dem IKRK bei deren Flagge als Vorbild diente. (sic)

Erstmal ist es eine absolute Unart, Leute, die einem nicht passen, mit Labels wie „geistig unterentwickelt“ zu versehen. Wer schon mal die Moralkeule schwingt und von Anderen besseres Benehmen fordert, sollte sich unterstehen, dabei die Unterstellung von Behinderungen als Beleidigung zu verwenden.

Zweitens finde ich das Argument toll, dass die Schweizer Flagge nicht angegriffen werden dürfe, weil sie dem IKRK als Vorbild gedient habe. Ja und jetzt? Willste n Keks dafür oder was? Man sollte sich wohl eher dann Sorgen machen, wenn tatsächlich die Fahne vom Roten Kreuz zerstört wird. Zu behaupten, das Schweizer Kreuz wäre allein durch die Verbindung zum IKRK heilig gesprochen, ist etwa so schlau, wie die Swastika wegen des Hakenkreuzes zu verdammen.

Für den Verfasser ist das Zerstören der Flagge ein Zeichen linker Intoleranz. Als Beispiel dafür dient etwa die Störung der SVP-Versammlung am HB. Dazu möchte ich anmerken, dass ich es absolut unmöglich finde, dass eine solche parteipolitische Kundgebung auf dem Gelände der SBB überhaupt stattfinden durfte. Und das auch ohne den unverhältnismässigen Polizeieinsatz mit Pfefferspray in einem halbgeschlossenen Raum und dem ohnehin viel zu grossen Eskalationsrisiko an einem Verkehrsknotenpunkt.

Der Verfasser stört sich daran nicht, sondern eher an der Reaktion der Linken. Die sind nämlich böse Heuchler. Wenn die Linken echt so tolerant wären, wie sie immer behaupten, dann würden sie ja auch Rechtsextreme einfach sein lassen…oder?

Sprich: Ihr erwartet eine allgemeine Toleranz gegenüber Menschen, die aus der weiten Ferne zu uns kommen, während ihr nicht mal eine andere politische Meinung von eurem Nachbarn toleriert.

Ihr lebt das Gegenteil vor, von dem was ihr von der Menschheit verlangt und dies für jeden sichtbar. Schon mal einen Politiker gesehen, der sich für Frauenrechte stark macht und gleichzeitig homeclips dreht, wie er seine Frau verhaut, nur um dann in die Menschenrechtskommission gewählt zu werden? Klingt absurd aber genau so handelt ihr und das schon sehr sehr lange. (sic)

Hier entlarvt sich wiederum die verdrehte Nationalistenlogik: Die Linken, die Versammlungen unterbrechen und ein Stück Stoff verbrennen, handeln also genau so wie jemand, der seine Frau verprügelt? Charmant. Interessant ist auch die Formulierung, warum man denn gegenüber Leuten „aus der weiten Ferne“ nett sein sollte, wenn man „nicht mal“ den eigenen Nachbarn toleriert. Ich weiss ja nicht, wie es anderen geht, aber für mich ist es nicht gerade common sense, dass Leute, die mir geographisch näher sind aus irgendwelchen Gründen mehr wert sein sollten als andere. Wenn ich neben einem KKK-Clubhaus lebe, ist mir deren „politische Meinung“ sicherlich nicht wichtiger als das Überleben eines Asylbewerbers. Das wäre doch schlicht absurd.

Über 240-Likes (Anmerkung: mittlerweile sind es über 1000 Likes) hat der Beitrag bisher. Die Kommentare rangieren, wie man sich vorstellen kann, im Bereich zwischen „Ich bin ja kein Rassist/Nationalist/SVP-ler, aaaaaber“ und „LANDESVERRAT! HÄNGEN WIR DAS VERDAMMTE PACK“. Und genau daran offenbart sich für mich der giftige Kern des Nationalismus: In dieser erschreckend emotionalen Verbindung zwischen Mensch und Staat, die das abstrakte Konzept über andere Menschen stellt. In diesem Übereifer, der gerne mal bei Sportevents und eben Nationalefeiertragen hoch kocht. Es ist mir unbegreiflich, wie Leute sagen können, dass sie ihr Land lieben und daraus irgendeine Berechtigung ziehen, hasserfüllte Tiraden zu verfassen, weil jemand es ihnen nicht gleich tut.

Eins weiss ich aber ganz sicher; ihr könnt euer Land soviel lieben, wie ihr wollt, aber weder Staat noch Flagge lieben euch zurück. Also tut mir den Gefallen und vergleicht nicht Gewalt gegenüber Dingen mit menschlichem Leid und stellt die Integrität von einem Stück Stoff nicht über den Respekt vor euren Mitmenschen.

Bäm. Wort zum Sonntag.

ein Kommentar

  1. Es gibt keinen guten Patriotismus! Denn jede Glorifizierung des Eigenen hat zwangsläufig die Schmälerung des Fremden zur Folge.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar