39: Nutzlos, sich zu empören?

Meine Lieben,

Etwas sehr Eigenartiges ist mir im Laufe dieses Sommers zugestossen. Vielmehr ist mir etwas abhanden gekommen. Etwas, das mir bis anhin als absolut essentiell und sogar lieb(gewonnen) erschien; meine Wut.

Nachdem ich mir aufgrund der stets katastrophaler werdenden Berichterstattung über die Flüchtlingskrise ein temporäres Verbot zum Konsum einheimischer Publikationen auferlegt habe, kann ich nicht mehr so recht die Motivation aufbringen, mich wieder völlig auf diesen Medienzirkus einzulassen.

Die Rage, die mich jeweils in eine regelrechte Schreibwut versetzte und dafür sorgte, dass die Empörung bereits in vollständigen Sätzen nur so aus mir heraussprudelte, bleibt aus. Keine noch so verlockend abscheuliche Überschrift vermag es, in mir die altbekannte Weissglut hervorzurufen:

Ein kleiner Ausschnitt aus dem Schumacher-Artikel. Wenn selbst DAS nicht aggressiv macht....

Ein kleiner Ausschnitt aus dem Schumacher-Artikel. Wenn selbst DAS nicht aggressiv macht, muss es echt schlimm um mich stehen.

Dabei ist es nicht so, dass ich diese Widerlichkeiten für weniger schlimm oder schädlich halte als zuvor oder mich etwa die mangelnde Reichweite meiner Texte davon abhielte, mich weiterhin zu empören. Es ist nur so, dass ich mich nach diesem Sommer der Abscheulichkeiten und Menschenverachtung fragen muss, was man denn von Leuten erwarten kann, wenn sie selbst in Fragen von Leben und Tod keinen Funken Anstand aufbringen können.

Ich habe keine Worte für die beiden Frauen mittleren Alters, die im Bus neben mir vor Kurzem darüber diskutierten, dass man überhaupt keine männlichen Flüchtlinge aufnehmen solle – „Männer kommen alleine klar. Die können ja kämpfen.“ Mir fehlen schlicht die Argumente für die Menschen, die fürchten, sie würden aus ihren Häusern vertrieben werden, damit Flüchtlinge dort „auf Staatskosten in Saus und Braus leben“ können.

Wie soll man in Anbetracht solcher Überzeugungen von gendergerechter Sprache reden? Wie von Ehegleichheit oder Massnahmen gegen Transphobie? Wie spricht man mit Leuten, mit denen man nicht einmal fundamentale Grundwerte wie das unumstössliche Recht auf Leben und Asyl teilt?

Bisher habe ich keine Antwort darauf gefunden. Ich weiss allerdings, dass dies kein Grund zur Untätigkeit sein darf. Noch immer bin ich der Ansicht, dass die kritische Arbeit an alltäglichen Ungerechtigkeiten die unentbehrliche Grundlage von sozialen Verbesserungen bilden muss. Wie sollte man denn Missstände bekämpfen, wenn man deren Auswirkungen auf das eigene Leben und das seiner Nächsten nicht einmal zu erkennen vermag?

Ich habe mich allerdings in der – zugegebenermassen recht törichten – Annahme getäuscht, die Bekämpfung von subtileren Übeln könne den Ausbruch von konkreteren, brutaleren Ausbrüchen von Gewalt und Ungerechtigkeit verhindern. Die Arbeit im Kleinen kann nicht mehr unter dem Banner „Wehret den Anfängen!“ verkauft werden. Dieser Zug (hier bitte BaZ-Hitler-Witz einfügen) ist längst abgefahren.

Man muss darauf bedacht sein, dass die grossen sozialen Katastrophen dieser Tage nicht den Blick auf die subtilen Gewalt- und Unterdrückungsstrukturen verstellen. Ich selber werde mich bemühen, dass diese Desillusionierung mich nicht vollends in die Apathie verfallen lässt.

Vielleicht finde ich meine Wut ja wieder.

Es gibt ja so viele schlimme Dinge. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass sich der feine Herr Rektor der Universität Zürich am Sommerfest der Weltwoche rumtreibt. Oh, da grollt es ja direkt leise in meiner Kehle! Ein vielversprechender Anfang…

Ich halte euch auf dem Laufenden.

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