Dear Swiss people,
Eigentlich könnt ihr ja gar nichts dafür. Eigentlich ist alles die Schuld von Ronja von Rönne, Jahrgang ’92 (hier bitte ungläubiges Kopfschütteln über die Kinder heutzutage einfügen.), Bloggersternchen und Welt-Redakteurin (Waaaaas, aber ist sie nicht erst 12? Oh. 23. Nun gut.). Deren absolut lächerliches Textchen über ihren „Ekel“ vor Feminismus erschien vor ein paar Tagen und löste direkt eine Gegenreaktion aus, die keine andere Bezeichnung als Shitstorm verdient hat.
Die „Argumente“, die von Rönne vorbringt, sind derart albern und unsinnig, dass ich mich nach einem anfänglichen Anfall von „Die heutige Jugend ist so undankbar“ mittlerweile schon wieder auf das Level von herablassendem Schnauben eingependelt habe.
Ich habe einfach selbst noch nie erlebt, dass Frausein ein Nachteil ist. In einem Land, in dem der mächtigste Mensch eine Vagina hat, wird „Frauenquote“ für mich immer ein bisschen nach Vorteilsbeschaffung riechen. Das Gendern der Sprache finde ich ausgesprochen hässlich. Wenn Firmen ihre Produkte mit nackten Frauen bewerben, halte ich das für gerechtfertigt, offensichtlich gibt es ja den Markt dazu.
Brillante Logik! Ein Blick auf einen älteren Artikel von Ronja v.R. zeigt allerdings rasch, dass sie durchaus Sexismus (mit)erlebt hat. Allerdings schnallt sie wohl nicht ganz, dass die systematische und gesellschaftlich akzeptierte Herabwürdigung von Frauen aufgrund von Äusserlichkeiten sehr wohl als „Nachteil“ gilt. Jaha, selbst wenn Frauen da mitmachen. Und der mächtigste Mensch hat eine Vagina, hmm? Erstens würde es mich schon mal interessieren, woher Frau v.R. diese Information hat, und zweitens sind die primären Geschlechtsmerkmale von Frau Merkel völlig irrelevant, da Transfrauen selbstverständlich ebenfalls unter sexistischer Diskriminierung leiden. Zum Thema „Gendern der Sprache finde ich hässlich“: Natürlich nörgeln die Leute gerne über alles, was neu ist. Sich über sperrige Wörter aufzuregen und über Sprachpolitik zu feixen ist leicht, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen dagegen nicht. Ich empfehle allen Interessierten den Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache von Lann Hornscheidt, der Link dazu befindet sich in diesem Spiegel-Interview.
Sich noch weiter über von Rönne aufzuregen erscheint mir aber als verlorene Liebesmüh‘, da sie sich erstens einsichtig und bereit zur Selbstkritik gezeigt hat, und zweitens dieser Artikel in einer Reihe von „extremen Meinungen“ zum Thema Feminismus publiziert wurde. Im ersten Teil der Serie „Ihr geht mir auf den Sack, den ich nicht habe“ erklärt Mara Delius klipp und klar die Notwendigkeit von Feminismus auch in der heutigen Zeit.
In der Redaktion von watson dachte man sich wohl: „Wie können wir von diesem Shitstorm profitieren und auch ganz viele Klicks kriegen? Ich weiss: Lassen wir einfach zwei Mitarbeiterinnen in ihren Zwanzigern auch ihren Senf à 100 Wörter dazu geben und nennen das dann Streitgespräch. Warum gerade die? Ähm ja, das geht ja eh nur Frauen was an und äh…die Ronja ist auch etwa in dem Alter.“
Das rhetorische Meisterwerk, das daraus entstanden ist, möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten. Zuerst Gina Schuler (23) auf der Seite „Ih, Feminismus“:
Ich glaube an unsere Macher-Generation. Ich fühle mich gleichberechtigt. Und klar, man kann darüber diskutieren, wo überall noch Handlungsbedarf besteht. Aber dann kann ich gleich aufhören zu leben.
Das find ich mega toll, dass Sie an die Macher-Generation glauben, Frau Schuler. Ungefähr so toll wie Fox-Mitarbeiter, die armen Leuten vorschlagen, sie sollten doch einfach aufhören, arm zu sein. Der Witz an struktureller Diskriminierung ist, dass einzelne Erfolgstorys nichts dagegen ausrichten. Ja, ein Schwarzer kann Präsident der Vereinigten Staaten werden. Und trotzdem werden unaufhörlich unbewaffnete schwarze Amerikaner auf offener Strasse von Polizisten ermordet. Und ja, Deutschland hat eine Kanzlerin. Und dennoch werden Politikerinnen täglich mit sexuellen Nachrichten und Gewaltdrohungen zugespammt.
Mir geht’s nur auf den Senkel, dass ich als ignorant hingestellt werde, weil mir die Feminismus-Diskussionen auf den Senkel gehen.
Naja, ich find’s auch ignorant, zweimal in einem Satz Senkel zu sagen, aber wir wollen ja mal nicht so sein.
Die Sprecherin der Gegenseite, Rafaela Roth (27), bringt einige wirklich gute Punkte:
Solange Frauen rund um den Globus mit gleicher Ausbildung auf gleichem Posten weniger verdienen als Männer, haben wir ein gesellschaftliches Problem. Solange gefordert wird, dass Frauen sich – gerade bei Lohnverhandlungen – den Gepflogenheiten der Männer anpassen, läuft etwas schief. Solange überhaupt Forderungen nach Frauenquoten auftauchen, weil die Frauen angeblich nirgends aufzutreiben sind, haben wir ein strukturelles Problem. Hunger existiert, obwohl ich grad nicht hungere.
Ungleicheit zwischen den Geschlechtern existiert, auch wenn ich nicht darunter leide.
Super Argumente, Frau Roth! Aber was soll dieser Unsinn mit dem Coolsein?
Es ist nicht besonders cool, Feministin zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, warum junge Frauen wie die Welt-Redakteurin Ronja von Rönne lieber keine sein wollen. Es ist viel cooler zu sagen, dass man diese ganze Debatte überhaupt nicht nötig hat.
Soweit so gut, aber warum das so ist, dazu äussert sich Roth nicht. Hier wäre der Moment, das Konzept von „Coolsein“ zu hinterfragen und aufzuzeigen, dass Feminismus sich gegen den Mainstream richtet, weil es herrschende Machtverhältnisse in Frage stellt. Feminismus soll nicht cool sein, sondern unbequem und subversiv.
Feministin zu sein, heisst Humanistin zu sein. Und das ist verdammt cool.
Gleichheit zu fordern ist kein Trend. Das Mass aller Dinge kann nicht sein, ob etwas angesagt oder allgemein positiv bewertet ist. Und ja, manchmal ist es anstrengend und ermüdend, manchmal macht man sich unbeliebt, indem man immer wieder unbequeme Themen anschneidet, von denen keiner mehr was hören will. Und manchmal fragt man sich, ob es nicht reicht. Schliesslich ist es schon viel besser als früher. Oder?
Und dann schlägt man die Zeitung auf und erfährt, dass anscheinend ein potentieller Fehltritt einer einzigen Frau den Feminismus um Jahrzehnte zurückwerfen soll, oder dass wieder „Germany’s Next Topschlampe“ gesucht wird, oder man liest davon, wieviel Hass einer Frau in der Öffentlichkeit entgegenschlagen kann, nur weil sie existiert.
Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als Müdigkeit und Erschöpfung abzuschütteln und sich wieder ans Werk zu machen. Wir sind hier nämlich noch lange nicht fertig.