23: Judith Stamm Interview beim Tagi

Dear Swiss people,

Jaja, ich weiss, Feminismus ist mega uncool, Gleichstellung seit Jahrzehnten erreicht, kämpfen muss man für nix mehr, EASY. (Also nicht wirklich easy. Mehr dazu, wenn ich mich wieder beruhigt hab.)

ABER: Selbst diese furchtbar ignoranten und politisch ungebildeten Leute, die glauben, dass Feminismus von gestern ist, würden doch zugeben, dass die Sache zumindest vor ein paar Jahrzehnten noch anders aussah. Zum Beispiel nämlich in der Jugend von Frau Dr. Judith Stamm, ehemalige Nationalratspräsidentin, Polizeioffizierin, Jugendanwältin, professional badass.

Judith Stamm

Als Stamm 1960 ihr Praktikum an einem Zürcher Gericht machte, konnte sie aufgrund ihrer fehlenden politischen Rechte nicht Gerichtsschreiberin werden. „Macht nix“, dachte sich Stamm wohl, „Dann geh ich ma eben nach Luzern, werd die erste weibliche Kriminalbeamtin, später nach der Verabschiedung des (kantonalen) Frauenwahlrechts 1970 Kantonsrätin und setze dann 1986 als Nationalrätin den Gleichstellungsartikel durch. Kein Akt.“ Und so geschah es.

Kein Wunder also, dass sich der Tagesanzeiger entschieden hat, in Zeiten, in denen Feminismus eine im Mainstream recht angeschlagene Position einnimmt, eine so beeindruckende feministische Ikone mit einem geschmackvollen, stimulierenden Interview zu würdigen.

Haha, nee Scherz. Hattet ihr jetzt nicht echt erwartet, oder?

Anstatt der Frau also irgendwelche anspruchsvollen Fragen zum Thema Feminismus heute und an und für sich zu stellen, spielt der Herr Michael Soukup, Redakteur Inland, lieber mal eine Runde advocatus diaboli.

SVP Tag

Bildschirmfoto 2015-04-10 um 17.50.50

„Ey, und wenn Sie die Wahl hätten, zwischen Marine Le Pen und einem feministischen Mann, wären Sie dann trotzdem für Le Pen weil Uterus und so?“

Aaah, wow. Der fragt eine Feministin, ob sie lieber eine Frau wählen würde oder jemanden, der Frauenrechte vertritt. Da hat er sie aber erwischt. Man weiss ja, dass man mit dieser Frage Emanzen bannen kann, so dass sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen können. Oder braucht man dafür Weihwasser und einen Kreis aus Salz? Naja, egal. Schockierenderweise entscheidet sich Stamm eher für jemanden, der nicht aktiv anti-feminstische Ziele vertritt. Boah. Die ist sicher gar keine echte Emanze. Jeder weiss, dass das Ziel von Feminismus ist, immer und unter absolut allen Umständen Frauen Männern vorzuziehen. Genau analog zum Inländervorrang. Ganz egal, ob man den eigenen Zweck damit um Jahre zurückwirft.

Erfreut über diese Antwort feixt Soukup:

Ihre parteiübergreifende Frauensolidarität hat also Grenzen. Dann werden Sie ein gewisses Verständnis dafür haben, dass die Luzerner FDP Frauen Zopfi ihre Unterstützung verweigern.

Ich will ja mal hoffen, dass ihre Frauensolidarität Grenzen hat! Es gibt eine ganze Menge Frauen, die man nicht unterstützen sollte. Etwa Marine Le Pen. Oder Michelle Bachmann. Frauen als Menschen und nicht als homogene Gruppe zu sehen ist mehr oder weniger der Punkt der Emanzipation.

Aber bei diesem hirnrissigen „Would you rather“-Spielchen bleibt es bei Weitem nicht. Herr Soukup hat nämlich so seine eigenen Vermutungen, warum Frauen politisch nicht viel reissen heutzutage:

Vielleicht lassen sich die Frauen gern von Männern regieren? Jedenfalls ist der grosse Aufschrei der Luzerner Frauen ausgeblieben.

und:

Frauen gehen heute offensichtlich lieber shoppen, als zu politisieren. Als bei den Bundesratswahlen 1993 die Bürgerlichen statt der offiziellen SP-Kandidatin Christiane Brunner einen SP-Mann wählten, gingen Tausende empörter Frauen auf den Bundesplatz demonstrieren.

An dieser Stelle möchte ich Frau Stamm dazu gratulieren, dass sie dem Mann nicht ins Gesicht gesprungen ist. Das wäre wohl diese „Altersmilde“, die ihr der Gute direkt in der ersten Frage attestiert.

Ich versteh ja, dass nicht jeder feministisch bewandert ist. Wobei man von einem Redakteur beim Tagesanzeiger eventuell erwarten könnte, dass er sich für ein Interview so gut vorbereitet, dass er zumindest Kommentare über Frauen und Shopping unterdrücken kann. Eine Frau wie Judith Stamm hätte sicher einige interessante Dinge zu erzählen gehabt, wenn Soukup sie nicht mit seinen unsinnigen Fragen davon abgehalten hätte.

Man muss Stamm für die Bewahrung ihrer Contenance und für ihre ruhigen, thematisch relevanten Antworten bewundern und loben. Wenn ich mal gross bin, möchte ich auch mal „altersmilde“ werden.

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