Dear Swiss people,
Manchmal gibt es Artikel, die so dreist und unverschämt sind, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob es sich um Satire handelt. Die ernüchternde Antwort ist leider meistens „haha. nope“. Da wäre zum Beispiel dieses Machwerk von Bettina Weber, Ressortleiterin Gesellschaft bei der Sonntagszeitung, das heute Vormittag vom Tagesanzeiger veröffentlicht wurde:
Die Gründe, die laut Weber gegen eine solche Regelung sprächen, bewegen sich im Bereich zwischen absurd und beleidigend.
Erstens stellt keine Agentur ein Model ein, das nicht ohnehin über Modelmasse verfügt. Das heisst: Models sind von Natur aus gross – und dünn. Eine Frau, die diese körperlichen Voraussetzungen nicht mitbringt, taugt so wenig zum Model wie zur Hochspringerin. Weil es sich um einen Beruf handelt, der ohne eine bestimmte Physis nicht auszuüben ist; Models ergeht es nicht anders als Balletttänzerinnen oder Kunstturnerinnen
Aha. Ohne Modelmasse ist es also rein physisch nicht möglich, eine grade Linie zu laufen. Das würde erklären, warum ich bei der Polizeikontrolle immer wieder daran scheitere. Das liegt also gar nicht am Alkohol! Danke, liebe Frau Weber! Auch interessant zu erfahren, wie Models „von Natur aus“ so sind. Die wachsen ja, soweit ich weiss, an Bäumen. Und weil Menschen sich im Laufe ihres Lebens nie auch nur auf irgendeine Art ändern, kann man da wohl nix machen. Wieder was gelernt!
Der zweite Punkt, Dünnsein nicht mit Magersucht zu verwechseln, ist weitaus vernünftiger. Aber in der Umsetzung dennoch mangelhaft:
Wer über die typische Modelphysis verfügt, ist daher in der Regel einfach: dünn. Oder, wenn bereits ein bisschen älter: ungemein diszipliniert. Aber eben nicht: magersüchtig. Magersucht ist vielmehr eine psychische Erkrankung, die sich im Verweigern von Essen manifestiert
Danke für die ungemein hilfreiche Definition von Magersucht! Auch gut zu wissen, dass Models einfach dünn sind. Und/oder diszipliniert. Dünne und disziplinierte Menschen sind ja gar nicht der Typ für Essstörungen. In der Geschichte von absolut allem ist es daher auch noch niiiiie zu Fällen von Essstörungen im Modelbusiness gekommen. Nie! Genau deswegen stellt man die Regeln zum Mindestgewicht ja auf.
Erst bei Punkt drei wird’s aber richtig eklig:
So gross kann der Einfluss von Models nicht sein, wenn die Menschheit trotz flächendeckender Werbung mit angeblich zu dünnen jungen Frauen kollektiv verfettet.
Bitte? Ist das ernsthaft ein Satz, den eine Möchtegernfeministin tippen kann, ohne vor Scham im Boden zu versinken? Also erstens beruhen viele der Übergewichtsstudien auf äusserst fehlerhaften Instrumenten wie dem BMI, dessen Nutzen mittlerweile so ausgiebig widerlegt ist, dass man überhaupt nicht mehr drüber diskutieren muss. Zweitens muss man schon sehr zynisch sein um zu behaupten, Untergewichtigkeit könne gar kein Problem darstellen, solange Übergewichtigkeit existiert. Drittens „verfettet“? Ernsthaft? Geht’s noch einen Tick herablassender? Eine Lanze für dünne Frauen zu brechen funktioniert nicht besonders gut, wenn man dazu normal bis übergewichtige Frauen runtermachen und beleidigen muss. Noch weiter erschwert wird Webers Plädoyer für Models dadurch, dass sie auch von denen nicht besonders viel zu halten scheint:
Wirft man einen Blick auf die bisherigen Veröffentlichungen von Frau Weber wird schnell klar, mit welchem Typ Schreiberling wir es hier zu tun haben. Hier haben wir eine Frau, die sich demonstrativ mit sogenannten Frauenthemen (Mode, Beauty, Sexualität und Gesellschaft )auseinandersetzt und gerne mal Ungleichheiten und Frauenfeindlichenkeiten anprangert (vorzugsweise natürlich anderswo), aber sich davon natürlich nicht abhalten lässt, über ihre Geschlechtsgenossinnen herzuziehen und regelmässig darauf hinzuweisen, wie sehr die armen Männer unter all dem Feminismuskram leiden.
Das führt dann zu so skurrilen Situationen, dass Frau Weber zwar gerne das Konzept der Jungfräulichkeit dekonstruiert, weil diese verrückten Leutchen in Indonesien gar nicht kapieren, dass es das gar nicht gibt und ihre Jungfräulichkeitstests daher völlig verfehlt sind, aber gleichzeitig zum Thema Verhütung im eigenen Land solche Kommentare von sich gibt:
Ach, krass! Das liegt an der Emanzipation, dass Männer annehmen, Verhütung sei Frauensache, obwohl Optionen wie Kondome oder Vasektomie zur Verfügung stehen? Ist ja eigentlich logisch, dem Feminismus ist es bekannterweise ein grosses Anliegen, dass Leute nicht über ihre eigene Fortpflanzung entscheiden können.
Nee, wir wissen ja schon, was Weber meint. Sie denkt, dass die Emanzipation die Frauen hat grössenwahnsinnig und rücksichtslos werden lassen, weshalb sie jetzt ihren Partnern freudig Kinder unterjubeln. Klar, dass das der Fehler der Emanzipation ist und nicht etwa von allgemeiner Rücksichtlosigkeit der jeweiligen Frauen und der Verantwortungslosigkeit von Männern im Bereich Verhütung.
Leider gibt es grade unter Schreiberinnen zuviele Frauen, die denken, sie wären besonders edgy, wenn sie anti-feministische Meinungen vertreten und das als ernsthafte Kritik verkaufen wollen. Es gibt zuviele, die finden, es wäre ja mit diesem ganzen body acceptance-Zeug zu weit gegangen, mittlerweile würden ja dünne, konventionell attraktive Menschen mehr leiden als dicke, was ja eindeutig nicht sein kann! Ungefähr die gleiche Logik steckt hinter diesen Beschwichtungsversuchen und Zugeständnissen an die Männer. Die Emanzipation ist zu weit gegangen und überhaupt hat Russel Crowe ja Recht, wenn er sagt, dass Frauen am Jugendwahn sowieso selbst schuld sind.
Dabei gäbe es so viel Vernünftiges zu sagen zum Thema Mindestgewicht. Etwa, dass auch hier der unzulängliche Bodymassindex herangezogen wird und Probleme wie die Arbeit von Minderjährigen Models oder die allgemein fürchterlichen Arbeitsbedingungen nicht zur Sprache kommen. Anstatt aber eine vernünftige Diskussion über die falsche Gleichsetzung von Gewicht und Gesundheit anzufangen, beschränkt sich Frau Weber lieber darauf, über Übergewichtige zu spotten.
Eine sehr enttäuschende Entscheidung für jemanden, der sich ostentativ mit Themen im Bereich Emanzipation und Sexismus beschäftigt und mit seinen Worten ein grosses Publikum erreichen kann.
Feminismus und Fatshaming – beides zusammen gibt’s nicht. Also, Frau Weber, was darf’s sein?
[…] Die Würde der Frau ist in Gefahr. IN GEFAHR, sag ich euch. Also, eigentlich sagt Bettina Weber vom Tagi, die uns ja bereits einschlägig bekannt ist. […]
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