34: Dr. Strangelove

Dear Swiss people,

Eigentlich sollte man über diese Dinge in einem gelassenen Zustand schreiben. Eigentlich sollte ich mir eine grossen Tasse Kamillentee brühen, einen halben Liter Bachblüten reinkippen und erstmal stundenlang meditieren bevor ich auch nur ein einzelnes Wort über den neusten Beitrag der NZZ Kolumne Dr. Strangelove tippe.

Eigentlich.

Aber das kann ich nicht. Denn was sich Herr Milosz Matuschek, der ach so provokante Schreiberling und möchtegern advocatus diaboli hier erlaubt hat, ist derart verabscheuenswert, dass mir regelrecht rot vor Augen wird.

Rape Culture

Matuschek schreibt über Rape Culture. Er ist da dagegen. Wie edgy. Unverschämterweise fand er es angemessen, einen solchen Artikel in der Kategorie „Liebe“ einzuordnen. Klar. Was gibt es schon Romantischeres als die systematische Duldung und Förderung von sexueller Gewalt in unserer Gesellschaft als Mittel der Unterdrückung?

Lovenomics ist Dr. Strangelove’s “War Room”. Der Ort für Gegenwartsdiagnostik, Revolutionspläne und Strategien zur Verteidigung der Liebe. #Lovenomics

Sexuelle Gewalt hat nichts mit „Liebe“ zu tun. Noch nichtmal unbedingt was mit Sexualität. Sondern einzig und allein mit Macht. Um ein mittlerweile berühmtes Twitterzitat mit unklaren Ursprüngen anzubringen:

„Rape is about violence, not sex. If a person hits you with a spade and you wouldn’t call it gardening.“

Der Fall

Matuschek behandelt den Fall von Emma Sulkowicz und Paul Nungesser. Sulkowicz wirft ihrem Kommilitonen und damaligen Freund Nungesser vor, sie in ihrem Studentenzimmer an der Columbia University vergewaltigt zu haben. Eine 2013 berufene universitätsinterne Untersuchungskommission entschied zugunsten von Nungesser. Die Aufmerksamkeit internationaler Medien wurde auf den Fall gelenkt, weil sich Sulkowicz entschieden hatte, als Zeichen ihrer Enttäuschung und Verzweiflung über die Untätigkeit der Universitätsleitung ihre Matratze so lange mit sich herum zu tragen, bis ihr Peiniger bestraft würde. Als Symbol dafür, dass sie nicht einmal in ihrem eigenen Bett sicher sein konnte und sich im Gegensatz zu Nungesser, zog sie so das Performance Art-Projekt „Carry that weight“ auf, was auch Teil ihrer Abschlussarbeit im Studienfach der visual arts wurde. Sulkowicz trug die Matratze vom September 2014 bis zu ihrer Abschlussfeier im Mai 2015 überall auf dem Universitätsgelände mit sich herum. Bei der Abschlusszeremonie halfen ihr drei Kommilitoninnen beim Tragen und der Dekan drückte sich davor, ihre die Hand zu schütteln.

Den genauen Ablauf und die bisherigen Veröffentlichungen zum dem Fall genauestens aufzudröseln und Aussage gegen Aussage zu stellen, erscheint mir unproduktiv. Ich werde jedoch am Ende dieses Beitrags eine Sammlung von Links zu diesem Thema stellen, damit ihr euch selbst noch weiter informieren könnt.

1. Behauptung: Sulkowicz ist die „Gewinnerin“

Sie trug zum Protest gegen die Entscheidung der Universität eine Matratze auf dem Campus mit sich, als Symbol des Tatorts, für die Last, die sie seit der Entscheidung der Universität trägt. Aus Sicht von Paul ist das Mobbing. Für sie ist es ein Kunstprojekt, über das sie ihre Abschlussarbeit schrieb.

Matuschek behauptet, dass Sulkowicz, die er in völlig unpassender Vertraulichkeit einer erwachsenen, ihm unbekannten Frau gegenüber stets „Emma“ nennt, als Gewinnerin aus diesem Szenario hervorgeht. Dass man bei der NZZ gerne mal behauptet, Frauen hätten nichts besseres zu tun, als anderen Vergewaltigungen anzuhängen, ist uns ja bereits bekannt. Allerdings liefert Matuschek hier kein Motiv für eine solche Verleumdung. Inwiefern profitiert Sulkowicz von einer möglichen Lüge? Sollen wir womöglich glauben, dass sie ihren damaligen Freund schlicht und ergreifend aus dem Grund beschuldigte, weil sie dummerweise kein gutes Thema für ihre Abschlussarbeit gefunden hatte?  Wohl kaum. Oder womöglich aus Rache, für irgendwas in ihrer Beziehung? Man weiss ja nie, bei diesen Frauen. Und was genau hat sie damit gewonnen? War es womöglich ihr Ziel, irgendwann einmal in einer Schweizer Zeitung als „potentielle Lügnerin“ bezeichnet zu werden? In dem Fall misson accomplished!

2. Behauptung: Es handelt sich um eine feministische Verschwörung

Er kämpft um seine Ehre, sie wurde zur Gallionsfigur eines universitären Neofeminismus.

Neofeminismus ist sowieso ein tolles Wort. Fehlt nur noch, dass irgendwo Millenials steht. Und gerade amerikanische Universitäten sind so besonders gut darin, feministische Zwecke zu unterstützen und ihre Studierenden vor sexuellen Übergriffen zu beschützen. Läuft also wohl sehr gut mit dieser neofeministischen Agenda. Und wieder eine Verschwörung aufgedeckt!

Und schliesslich gibt es das Raster feministischer Aktivistinnen, wonach der Mann stets der Täter, die Frau das Opfer ist.

Aaaaah, ja dieses Raster kennt man natürlich. Dumm nur, dass unter Leuten, die Nungesser beschuldigen, ein Mann ist, der unter dem Namen „Adam“ bekannt wurde. Leider weigern sich die meisten Schreiberlinge, wie auch die von Matschuek zitierte Cathy Young, überhaupt mit Adam zu reden. Ich gehe mal davon aus, dass auch das Teil der feminstischen Verschwörung sein muss. Abgesehen davon, dass nur feministische Publikationen überhaupt von diesem Aspekt der Geschichte berichten.

3. Behauptung: Es kann keine Vergewaltigung sein, wenn man danach noch zusammen ist.

Zugleich blieb sie mit Paul in Kontakt, sie schrieben sich Liebes-Nachrichten. Zwei Tage nach der behaupteten Vergewaltigung sehnte sie sich nach einer Kuschel-Session mit ihm. Wochen später schreibt sie ihm: „I love you Paul. Where are you!?!?!?!?!“

Entschuldigt bitte, wenn ich kurz bitter lache. Die meisten sexuellen Übergriffe werden von Vertrauten der Opfer verübt. Bis vor Kurzem war die Vergewaltigung in der Ehe noch nicht mal eine Straftat, da man davon ausging, das sexuelle Gefügigkeit in diesem Rahmen ein Vorrecht wäre. So normal ist es also, dass sich Täter und Opfer sowohl vor als auch nach der Misshandlung in einer engen Beziehung befinden. Ob sich der werte Herr Matuschek wohl auch derart despektierlich über jemanden äussern würde, der jahrelang in einer Beziehung geschlagen wurde, ohne sich von seinem Peiniger lösen zu können? Zu den Verhaltensmustern von Traumatisierten gehört es nunmal auch, das eigene Trauma zu leugnen. Die Verdrängung beziehungsweise Umdeutung des Geschehenen kann dazu dienen, sich selbst von dem Schmerz der Erfahrung zu entlasten. Dass Sulkowicz Nungesser weiterhin schrieb und mit ihm in einer Beziehung blieb, ist also keineswegs ein Indiz für ihre Schuld.

Zudem wird klar, auf was für eine dürftige Recherche sich Matuschek hier beruft. Der Artikel, den er mit dem „I love you“ Zitat verlinkt, wurde bereits ausgiebig für die irreführende und verfälschende Verwendung von Zitaten kritisiert, die einseitig zensiert wurden und auch aus der Zeit vor der angeblichen Vergewaltigung stammen. Sich auf so eine Quelle zu berufen unterstreicht nicht gerade das journalistische Können.

4. Behauptung: Es gibt reverse racism

Weiss, männlich und heterosexuell zu sein, vielleicht auch noch Sportler und in einer Studentenverbindung (trinken die nicht recht viel?) reicht offenbar aus, um eine Vorwurf aufrecht halten zu dürfen. Strukturell ist es nichts anderes, als zu sagen, Schwarze seien faul, Juden geizig und Polen Diebe. Und doch ist es nicht verpönt. Wer in bestimmten Kontexten die falsche Hautfarbe hat und das falsche Geschlecht, kann nicht mit Empathie rechnen, selbst wenn die Fakten für ihn sprechen.

Genau. Diese schlimme Diskriminierung gegenüber weissen, heterosexuellen Männern. Leider noch cisgender, christlich und able-bodied etc. vergessen, aber wir wollen ja mal nicht so sein. Man kennt es ja; die epidemieartige Verfolgung der privilegiertesten Gruppe der Welt. Deswegen sind natürlich auch hauptsächlich Weisse im Gefängnis. Deshalb kriegen Männer auch höhere Strafen, wenn sie ihre Partner töten als Frauen. Und genau deshalb wird Heterosexuellen ja auch vielerorts verwehrt, Kinder zu haben.

Und nein, man kann strukturelle Diskriminierung nicht einfach auf den Kopf stellen und behaupten, das sei dasselbe. Es ist eine Hierarchie, nicht irgendein lustiges Spiel wo jeder mal dran kommt. „Die falsche Hautfarbe“ hat Nungesser nicht in diese Bredouille gebracht und auch nur zu behaupten, dass man es als weisser Student einer Eliteuni ach so schwer hat, ist recht widerlich.

Fazit

Es ist mir völlig gleichgültig, was Herr Matuschek glaubt oder nicht glaubt. Wie er allerdings auf die Idee kommt, diesen unverforenen und schlecht recherchierten Artikel zu verfassen, ist mir ein Rätsel. Gerade im Hinblick auf die Unverschuldsvermutung, die er im Bezug auf Nungesser so hoch hält, sollte er sich mal die Frage stellen, ob diese womöglich auf für Sulkowicz gelten sollte und nicht nur für den armen, weissen Jungen, der ihm so am Herz liegt.

Einige Punkte sollten jedenfalls zu denken geben:

  • Neben Sulkowicz geben drei weitere Zeugen an, Nungesser habe sie sexuell missbraucht.
  • Einer dieser Zeugen ist ein Mann, der wohl nicht Teil der feministischen Verschwörung ist.
  • Nungesser hat weder Sulkowicz noch eine der Publikationen, die ihn klar als Vergewaltiger bezeichnen, wegen Verleumdung verklagt.
  • Stattdessen verklagte er den akademischen Betreuer von Sulkowicz und die Universität, weil so sein Name in die Öffentlichkeit gelangte.
  • Was Sulkowicz mit dieser Aktion erreicht hat, ist, ihren Namen und ihr Gesicht für immer mit dieser Geschichte zu verbinden. Matuschek ist lange nicht der einzige, der schlecht über sie schreibt oder sie zu diskreditieren versucht. Wer nicht gerade annimmt, dass eine Vergewaltigungsanschuldigung ihr auch noch ein Pony und einen Trip nach Disneyland verschafft hat, sollte sich ernsthaft fragen, was genau sie daraus für einen Vorteil ziehen könnte.

Links

http://misandry-mermaid.tumblr.com/tagged/emma-sulkowicz

http://jezebel.com/how-to-make-an-accused-rapist-look-good-1682583526

http://www.thenation.com/blog/208041/emma-sulkowicz-and-benefit-doubt

http://jezebel.com/i-am-not-a-pretty-little-liar-1705996719

2 Kommentare

  1. […] ihm oder ihr kann allenfalls sexualisierte Gewalt angetan werden. Um nochmal das Zitat aus dem Strangelove-Artikel anzubringen: “If somebody hits you with a shovel you wouldn’t call that […]

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  2. […] profitieren” ist das genau die Rhetorik, die auch von Leuten vertreten wird, die gerne von reverse racism […]

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