Dear Swiss people,
Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Dieses Lichtlein kommt nach einem furchtbaren Wochenende mit widerlicher Berichterstattung über Weltfrauentag und die Zuger-Affäre in Form von Yvonne Feri (SP) und ihrem wundervollen Artikel auf vimentis:
Schon der Titel zergeht auf der Zunge. Der wunderbar geschriebene Text, der als Antwort auf das unsägliche Gelaber von Andrea Caroni (FDP) vom 5. Februar in der Weltwoche verfasst ist, brilliert inhaltlich und rhetorisch. Hier ein kleiner Vorgeschmack:
Unbedingt lesen und weiterempfehlen!
Guten Abend pivilegierte-immigrantin
Die aktivierte Kommentarfunktion ist mir Einladung genug meinen Senf dazuzugeben. ^^
Da das das Internet ist und wir beide anonym sind, werde ich Dich duzen. Ich hoffe, Du empfindest das nicht als unhöflich.
Zum Affront, bei dem ich zwei Deutungen sehe:
1: Bei der Regelung, dass das Gewinnen der Diskriminierungsolympiade den ersten Platz in Aufzählungen verschafft, würden Texte zur Diskriminierung der Frau (und besonders der Frau in der Schweiz) immer mit einem Lamento auf die Stellung der verschiedenen Gruppen von genderatypischen Mitmenschen beginnen. Und das ist bereits eine rechte Einschränkung auf die Einheit der Materie.
Schränken wir nicht ein, müssten wir bei ganz anderen Personen anfangen, gegenüber denen alle unsere Probleme mit Benachteiligung wegen Eigenschaften, die nicht diese Relevanz haben sollten, lachhaft erscheinen müssen. Sehen wir zu den Christen in Syrien oder auch zu den tiefsten Kasten in Indien.
Diese Arten der Aufzählung werden allerdings weniger genutzt. Es ist wohl wenig zweckmässig wiederholt viele artverwandte Themen aufzuzählen, wenn das Problem, dass bleuchtet werden will, ein ganz konkretes ist. Natürlich ist dabei zu beachten, dass nicht versucht wird, mit kleinen Bäumchen den Wald zu verdecken. Wobei Themen, wie zum Beispiel die Lebenserwartung des Mannes, aus meiner Sicht nicht als unbedeutend einzustufen sind.
2: Die Sicht auf das Ganze ist wichtig. Und auch, dass das Ganze aus Einzelteilen besteht. Und auch, dass das es unter diesen ganz verschieden gute und schlechte gibt. Und auch, dass alles mehr oder weniger fest zusammenhängt.
Ich denke, dass es nützlich ist, den Status Quo zu hinterfragen. Wenn es hingegen darum geht tatsächlich etwas zu ändern, dann sollte eine funktionierende Lösung bereitstehen. Oder mindestens eine, die gute Aussichten auf Erfolg hat. Vorausgesetzt es besteht keine Not und Zugzwang.
Diese zwei Ansätze zeigen auf eine Herangehensweise in verständlichen Schritten zu einem weiter entfernten Ziel hin. Zu diesen kleineren Schritten braucht es auch ein Verständnis der Felder, in denen die Veränderung herbeigeführt werden kann und muss um dieses Ziel zu erreichen. Der Hinweis auf Felder in denen der Mann durch das System diskriminiert wird, muss für die ganzheitliche Sicht auf das herrschende System gemacht werden.
Es wird wenige Leute geben, die bezeifeln, dass auch diese Diskriminierung aus der Gesellschaftsform vergangener Zeiten kommt und als deren Bestandteil unter anderen solchen bis Heute andauert.
So oder anders: Die Weigerung mancher Elemente, die der Gleichstellung dienen sollten, den Mann mit ins Boot zu holen – der Mann nicht als Zudiener sondern als gleichberechtigter Partner – gibt hauptsächlich den Gegnern der Gleichstellung Vorschub. Die dann mit ihrer Formel: „Gleichwichtig aber Verschieden“ besser dastehen als: „Gleichgestellt aber nur für Frauen“.
Das scheint auch einleuchtend, denn wer möchte schon das andere gleichergestellt über einem sind?
Wie siehst Du das?
Nimm Dir doch Zeit zu lesen, wenn Du willst. Ich würde mich über eine Diskussion freuen.
Kirschblüte
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Liebe Kirschblüte,
Klar, im demokratischen Internet können wir uns gerne duzen 🙂 Vielen Dank für die ausführliche Nachricht! Für sowas ist die Kommentarfunktion genau da.
Die Frage nach der Thematisierung von spezifisch männlichen Frage im Feminismusdiskurs ist wohl so heftig diskutiert wie nie zuvor. Man denke an die Rede von Emma Watson vor einiger Zeit. Es dürfte klar sein, dass gerade der Feminismus sich stark für die Rechte von Männern einsetzt, die aufgrund patriarchaler Strukturen überhaupt erst entstanden sind, wie etwa durch die Änderungen von Vergewaltigungsparagraphen, die in vielen Ländern erst seit kurzem auch männliche Opfer einschliessen. Für eine gute Übersicht dafür hier ein Link: http://mic.com/articles/88277/23-ways-feminism-has-made-the-world-a-better-place-for-men
Zum anderen muss aber auch klar werden, dass die Existenzberechtigung für feministische Arbeit nicht darin liegen darf, dass Männer „auch was davon haben“, wie es oft gesagt wird. Und daher kann nicht die Forderung bestehen, bei jeder Anprangerung von Missständen zwischen den Geschlechtern, wie etwa im Fall der Lohnungleichheit ein „Ja, aber Männer leiden ja auch“ hinten dran gehängt wird. Natürlich tun sie das auch! Etwa, weil sie nicht denselben Anspruch auf Elternzeit haben. Der Punkt ist allerdings, dass diese Nachteile aus derselben Quelle wachsen und zwar aus der Idee des Mannes als Alleinernäher, der Frau als Mutter und Nestbauerin. Wenn sich Feministinnen also gegen diese Ungleichheit wenden, wenden sie sich zugleich gegen die Nachteile, unter denen die Männer leiden. Niemand mit ernsthaften emanzipatorischen Absichten hat etwa den Plan, den Lohn der Frauen zu erhöhen, aber beispielsweise den Männern keine Elternzeit zu gönnen. Dazu kann ich dir empfehlen, den oben beschriebenen Artikel von Yvonne Feri zu lesen.
Die kürzeste Definition von Feminismus wäre, dass er die Gleichberechtigung aller Geschlechter fordert. Nicht, wie so oft verkürzt gesagt wird, einfach die selben Rechte wie Männer für alle (oder, wie häufig unterstellt wird, bessere Rechte für alle ausser Männer). Im Idealfall sollen nämlich auch die Rechte verbessert werden, es geht nicht nur um eine plumpe Forderung nach dem, was andere schon haben, sondern um eine tatsächliche Verbesserung der Zustände. Dazu gibt es zwei Ebenen, auf denen gearbeitet werden muss. Die eine ist das, was du als „Diskriminierungsolympiade“ beschrieben hast: die Erfahrung von mehrschichtigen, komplexen Diskriminerungsfahrungen muss sichtbar gemacht werden, um die Probleme zu verstehen. Dabei geht es nicht um eine Hierarchisierung, sondern darum zu zeigen, wie diese verschiedenen Ebenen aufeinander einwirken, dieses Feld wird dann gemeinhin als Intersektionalität bezeichnet. Also etwa zu zeigen, wie anders die Herausforderungen und Ausgrenzung einer dunkelhäutigen Migrantin im Gegensatz zu einer weissen Mittelschichtsfrau sein können.
Die andere Ebene befasst sich mit den Mechanismen, die diese Ungleichheiten überhaupt hervor rufen. Da wären die grossen drei Diskriminierungssysteme Patriarchat, Kapitalismus und Rassimus zu nennen. Hier bewegen wir uns nicht mehr auf der subjektiven und individuellen Ebene, sondern auf der abstrakten und systematischen.
Das Ganze ist also sehr komplex. Ich arbeite hier hauptsächlich mit den Effekten dieser Mechanismen auf einer sprachlichen Ebene, da ich glaube, dass sich hier ein guter Zugangspunkt ergibt, Vorstellungen zu hinterfragen und Leute in die Thematik einzuführen.
Ich hoffe, du bist mit meiner Antwort zufrieden! Falls ich dir sonst weiterhelfen kann, melde dich bitte! Ansonsten danke ich dir erstmal für’s Lesen 🙂
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