48: Pinke Paranoia

Dear Swiss people,

 

Mir kommt grad das kalte Kotzen. Entschuldigt die Wortwahl, aber das muss jetzt sein.

Ich habe es einfach satt. Ich habe es satt, mir immer und immer wieder die Mär der oberflächlichen, faulen und egomanischen Linken anzuhören. Dieses scheussliche Gebrabbel über die faule, unpolitische Jugend. Über die oberflächlichen Frauen, die keine Tiefe haben und nur mit ihrer Kleidung und ihrem Image überzeugen.

 

Egal, was wir tun, es wird nie genug sein. Egal, wie erfolgreich linke Politik ist; die „bürgerlichen“ Medien werden Mittel und Wege finden, es kleinzureden. Egal, wie professionell, höflich, gebildet und engagiert eine Frau ist; jemand wird es schaffen, ihren Erfolg auf ihr Aussehen zurückzuführen und ihr unterstellen, sich in den Vordergrund zu drängen. Völlig gleichgültig, wie engagiert und effizient junge Leute politisch tätig sind – Die alten Neider sind nicht weit.

Anmerkung: Wie ihr im Kommentar unten seht, scheint es einigen, als hätte Ritter hier lediglich die Medien für ihren Umgang mit der Berichterstattung kritisieren wollen. Es mag sein, dass er das wollte, aber durch seine unreflektierte Annahme der Rhetorik und Denkweise von Kleiners Kritikern hat er einfach die sexistische Einschätzung repliziert. Er macht Kleiner zum Opfer der Erzählung, zum gefälligen Ornament und stellt in keiner Weise ihre Arbeit und Aktivität in den Vordergrund. Ihre Ansichten und ihre Gedanken spielen keine Rolle. Sie ist die Überbewertete, das Element des Märchens. Null Agency/Handlungsvermögen. Das ist keine kritische Analyse.

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Bild: Aargauer Zeitung

 

Wie bitte lässt sich dieser widerwärtige Beitrag von Pascal Ritter in der Aargauer Zeitung über Flavia Kleiner rechtfertigen?

Ein pinker Mantel geht um. Am Abstimmungssonntag leuchtet er vor dem Hotel Bellevue in die Kamera. Stunden später wird er von einer Bundesrätin umarmt. Nur wenigen muss man nach dieser Woche noch erklären, wem der Mantel gehört.

 

Schon der erste Satz bringt mich zum Zähneknirschen. Was soll erstmal die offensichtliche Anspielung auf den Beginn des Manifests der Kommunistischen Partei („Ein Gespenst geht um in Europa“)? Da versucht sich wohl jemand am Marxismus. Dumm nur, dass man das nicht als Ausgangspunkt nimmt, Kleiners stark neoliberale Argumentation mal kritisch unter die Lupe zu nehmen und hier ne Runde Kapitalismuskritik reinzubringen, sondern lieber ganz Faul auf die Sexismus-Schiene einsteigt und sich jedes Denken verkneift.

Und was bitte will der Schreiberling damit erreichen, dass er die Aktivistin hier praktisch als Mensch verschwinden lässt und ihr Kleidungsstück zum Akteur befördert? Versteckt sich hier womöglich irgendwo ein Kommentar zum Fetisch der Ware?

 

Aber nur mit Flavia Kleiner liess sich der Abstimmungskampf im Nachhinein wie ein Märchen erzählen: die blonde junge Frau aus der Studentenbude im pinken Zaubermantel gegen den alten reichen Mann aus der Villa in Herrliberg. Der «Tages-Anzeiger» merkte es als Erster. Nachdem die deutsche «Welt» den Artikel übernommen hatte, gab es kein Halten mehr: der pinke Mantel auf allen Kanälen.

 

Märchen, Zaubermantel. Mhmm. Der Mantel hat das ganz alleine gemacht. Toll. Wo kann man sich so ein Teil kaufen? Und macht der auch den Haushalt neben seinem politischen Engagement?

Uh ja und nicht vergessen, die Haarfarbe und die Farbe des Mantels schön nah beieinander zu erwähnen, damit die Barbie-Anspielung auch richtig klar wird. Nicht, dass jemand noch auf die Idee kommt, Kleiner ernstzunehmen.

 

Ja, was denkt sich diese Frau auch, ein farbiges Kleidungsstück zu tragen? Für wen hält die sich? Angela Merkel? Hillary Clinton? Da hat die Frau Kleiner wohl mal wieder vergessen, dass sich Frauen nur kleiden, um ihre Eitelkeit zu befriedigen und irgendwie von ihrer inneren Leere abzulenken. Es ist schon ein Wunder, wie sie in der SRF Arena überlebt hat, so ohne pink und ganz in neutrale Töne gekleidet wie die anderen Teilnehmer. (Woraufhin watson ihren Auftritt „farblos“ nannt. Hoho, ihr und eure witzigen Wortspiele. Würg) Auf den unglaublich patzigen und erschreckend unfähigen Diskussionsleiter Projer ist ihr ruhiger, souveräner Auftritt sicher nicht zurückzuführen.

 

Und was sie sich erdreistet hat, sich von Zeitungen aufs Cover setzen zu lassen??? Die hat den Journalisten doch sicher aufgelauert und sich ihnen aufgedrängt. Gott bewahre, man ziehe die Medien zur Rechenschaft für ihre klatschspartenhafte Berichterstattung. Die können ja gar nix dafür, dass sie immer Kleiner so prominent dargestellt haben. Die hatten ja gar keine Wahl! Da ist es doch viel besser, ein Medienmensch empört sich darüber, über wen die anderen Medien so schreiben und zieht sich so schön aus der Verantwortung.

 

Und die Krönung des Elends ist, dass die Neider nicht nur von Rechts kommen. Auch die alte Brigade voller gigantischer Egos ist derart beleidigt, dass ihr „Dringender Aufruf“ zwar ein finanzieller Erfolg war, aber weniger mediale Beachtung erfahren hat. Das lag sicher nur an Kleiners hübschem Gesicht und nicht an der Tatsache, dass man sich bei Operation Libero halt ein kleeeeiiiiines bisschen besser auskennt mit sozialen Netzwerken und Mobilisierung. Dass dort Leute in direkten Dialog mit Menschen traten und sich durch unendliche Hasskommentare durchargumentierten und sich dabei nicht entmutigen liessen. Es muss die alten Linken schon sehr schockieren, dass man mit Zeitungsanzeigen und Feuilletonbeiträgen und im Extremfall einem Blogpost nicht mehr einfach so das Ruder herumreissen kann. Meinetwegen können sie sich da gerne selbst still in der Ecke bemitleiden, wenn sie nur davon absähen, ihr kulturpessimistisches Gezeter an der nächsten Generation auszulassen.

 

 

Es ist eine derartige Farce, dass so ein Artikel überhaupt veröffentlicht wird. Abgesehen von der Verwerflichkeit solcher Kommentare entlarvt sich Ritter selbst als inkonsequent und völlig unlogisch.

 

Er erlaubt sich allen Ernstes über Kleiners Auftreten, Outfit und Image herzuziehen, nur um ihr dann überbewertete Inhaltslosigkeit zu unterstellen. Hört sich der Mann eigentlich selber zu? Wenn hier irgendwas gehaltlos ist, dann dieser „Artikel“ und wenn jemand durch oberflächliches Getue besticht, dann Ritter.

 

Es ist derart peinlich, wie abschätzig hier über eine ausserordentlich erfolgreiche politische Aktion berichtet wird. Sowohl die Aargauer Zeitung als auch Ritter persönlich sollten sich wenigstens intern dafür rechtfertigen müssen, sich diesen unverschämten und unglaublich sexistischen Anfall verbaler Diarrhö geleistet zu haben.

4 Kommentare

  1. Lunda Regne · · Antworten

    Ärger ist ja immer gut. Aber hier leider irgendwie total am Thema vorbei. Also. 1) Linke Politik? Meines Wissens ordnet sich Flavia Kleiner am ehesten der FDP bei, die Organisation Libero sieht sich als liberal 2) kritisiert Ritter den Medienhype welcher aufgekommen ist rund um Frau Kleiner, NICHT Frau Kleiner (sieht man zb am Titel). Dabei zeigt er genau auf, dass engagierte (wirklich!) linke Politik wie sie z.B. auch von vielen anderen jungen Frauen gegen die DSI gemacht wurde, von der bürgelichen Presse nicht wahrgenommen wurde, weil sich nachwievor die Geschichte einer schönen jungen Frau im pinken Dress besser vermarkten lässt. Und weil nachwievor nur zählt und erst genommen werden kann was nationalistisch oder zumindest wirtschafts liberal daherkommt. Auch wenn es in diesem einen Fall super war, dass auch auch rechts liberalen Kreisen gegen die DSI angekämpft wurde, muss doch wohl eine Kritik an einem Medienhype, welcher eine Politikerin auf ihr äusseres reduziert möglich bleiben. Insbesondere wenn sie aus einem politischen Umfeld kommt, welches auch heute noch in vielen Bereichen anti-feministisch ist und patrichal-nationalistische Weltanschauungen vertritt…

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    1. Danke für den Kommentar! Ja, ich nehme auch an, dass das irgendwie die Absicht war, aber dafür ist der Artikel einfach nicht klar genug. Ritter hätte rausstellen müssen, dass es eben nicht Kleiner ist, die daran Schuld ist, anstatt einfach die Stereotypen aneinanderzureihen. So, wie er es präsentiert, ist es etwas an ihr, was einfach so gut für diese Geschichte geeignet war. Es ist nicht der Job des Lesers, die vermuteten guten Intentionen als guten Artikel zu werten. Wer sich nicht klar distanziert, sondern nur gehässig nachäfft, ist kein Glücksgriff. Ich halte auch keinen FDPler für links. Mehr so für „mehr links als…“ aber die Operation Libero wurde auch von linker Seite sehr unterstützt und nicht zuletzt dadurch zum Erfolg gebracht. Ritter benutzt Kleiners Bild, wiederholt die Kritik und schreibt nicht etwa „Die Überbewerter“, sondern macht es an ihr fest.

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  2. Thomi Sennhauser · · Antworten

    Na und ? Könnte es sein, dass sich graue Herren auch als graue Politiker entpupen ? Ich denke schon und in so einigen Redaktionen sitzen auch die Journalisten dazu, farblos und angepasst. Ich bin ein bürgerlich denkender Mensch und trotzdem hab ich ihr sehr genau zugehört und bin der Meinung, sie sagt das, was die Jungen heute so bewegt. Wer will denn schon die abgelutschten SVP- Jungpolitiker noch hören, kommt ja nur derselbe Mist. Also werde ich ihr auch in Zukunft zuhören, sicher auch mal eine andere Meinung haben und sicher auch weiterhin bürgerlich denken. Aber mein soziales Gewissen werde ich behalten und weiterhin daran glauben, dass nur mit solchen Politiker wie Flavia eine gute und gerechte Politik möglich ist.

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  3. Der Mantel ist nicht der Akteur. Flavia Kleiner ist die Akteurin – und eine Frau auf einen Mantel zu reduzieren, ist total daneben. Diese Zeiten sollten vorbei sein, in denen eine Frau nur auf das, was sie trägt, oder eben nicht trägt, reduziert wurde.

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