44: Politische Korrektheit hilft Hasspredigern?

Dear Swiss people,

 

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Es amüsiert mich immer wieder, zu welchen absurden geistigen Verrenkungen Menschen doch fähig sind, um ihre eigenen Fehltritte zu rechtfertigen.

Nehmen wir einmal den ehemaligen Tages-Anzeiger Chefredakteur und jetzigen Watson-Schreiberling Philipp Löpfe. An und für sich wissen wir, der Löpfe, das ist ein ernsthafter Journalist. Der schreibt Dinge über die Wirtschaft und das Ausland und kennt sich aus. Er spottet über die Weltwoche. Er vertritt sozialistische Ansichten und warnt vor Tendenzen in Richtung rechts. Ein anständiger Mensch, wie es scheint.

Aber Gott bewahre, dass jemand den guten Mann einmal kritisiert. Da entlädt sich prompt eine Empörung, die in ihrer grotesken Logik gradezu amüsant ist.

Der Herr Löpfe meint nämlich erkannt zu haben, dass Kritik an ihm praktisch bedeutungsgleich mit Unterstützung von Hasspredigern ist. Echt jetzt:

An die Gralshüter der politischen Korrektheit: Ihr überlasst den Hasspredigern das Terrain! – Ein offener Brief

Das fängt ja gut an. Macht euch lieber schonmal einen Tee, bevor es losgeht.

Alle versorgt? Also bitte, zum ersten Satz:

„Sehr geehrte Gralshüter der politischen Korrektheit,

kürzlich habe ich eine Story mit der Überschrift «Wenn es ums Klima geht, sind wir schizophren» geschrieben. Damit wollte ich zum Ausdruck bringen, dass wir derzeit zwei Dinge tun, die sich widersprechen.“

Genau. Und schizophrene Leute sind ja bekanntermassen Menschen, die sich selbst immer widersprechen. Das ergibt freilich Sinn. Und natürlich hätte es absolut keine andere Möglichkeit gegeben, diese Widersprüchlichkeit auszudrücken! Die deutsche Sprache ist da leider so beschränkt.

Wenn es nur so Wörter gäbe wie widersprüchlich, ambivalent, unentschlossen, inkonsequent, unentschieden, zwiespältig, kontradiktorisch, wankelmütig, unlogisch… Aber leider gibt es die ja nicht, und daher waren dem armen Mann schlicht und ergreifend die Hände gebunden.

Nicht einmal im Traum hätte ich daran gedacht, Menschen damit zu beleidigen, die tatsächlich an der Krankheit Schizophrenie leiden. Etwas anderes wäre es gewesen, hätte ich «Neger» geschrieben, ein Begriff, bei dem jedes Kind weiss, dass er bewusst rassistisch und beleidigend gemeint ist.

Man könnte fast lachen, wenn es nicht so zum Weinen wäre. Erstmal super Leistung, ein Wort, dass Sie nie gebrauchen würden, extra zu benutzen, um zu zeigen, dass Sie es nicht verwenden. Und dann noch das tolle Argument von „Rassismus ist aber schlimmer und das mache ich nicht. Wenn das Andere auch schlimm wäre, wüsste ich es ja wohl.“

Lieber Herr Löpfe, nur weil Sie etwas nicht wissen, heisst das nicht, dass es dem Rest der Welt nicht absolut glasklar ist.

Es ist leicht, sein eigenes Unwissen mit einem unwirschen Verweis auf übertriebene politische Korrektheit zu verwerfen. Es ist leicht zu sagen, man hätte es ja nicht so gemeint. Besonders, wenn man sich ansonsten durchaus offen und vernünftig gegenüber dem Schutz von Minderheiten zeigt.

Aber wissen Sie, was nicht leicht, aber dafür umso notwendiger ist? Fehler eingestehen. Immer und immer wieder dazulernen. Jeder hat problematische Meinungen. Jeder hat irgendwelches Vokabular, das Andere verletzt und herabsetzt. Ich weiss selber, wie oft mir Begriffe wie Eskimo oder Zigeuner schon herausgerutscht sind, bevor ich mich korrigieren konnte. Fehler machen ist menschlich.

Aber Menschlichkeit ist lediglich eine Erklärung, keine Rechtfertigung. Die Frage ist, wie man mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten und Fehltritten umgeht. Sie, Herr Löpfe, wurden auf Ihren Fehler aufmerksam gemacht. Nicht sonderlich aggressiv oder beleidigend, aber mit Nachdruck. Aber anstatt zu reflektieren, ob es hier wirklich darum geht, was auch immer Ihre Absicht war oder ob Ihre persönliche Meinung über ein Wort denn wirklich wichtiger ist als die von Betroffenen, haben Sie sich entschlossen, dieses Machwerk von einem „offenen Brief“ zu verfassen.

Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, warum Sie eine Kritik an Ihrer Wortwahl als Aufhänger dafür nehmen, andere Leute als Helferlein von Donald Trump et al. zu bezeichnen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen, aber bitte. Tun Sie sich keinen Zwang an. Nicht dass es besonders viel Sinn ergibt, Leute als „Gralshüter“ zu bezeichnen, die sich für einen respektvollen Umgang mit dem Thema Geisteskrankheit einsetzen, aber eben. Leben Sie sich aus.

Meinungsfreiheit und so.

Wissen Sie, das Schöne an der Meinungsfreiheit ist ja, dass sie nicht garantiert, dass niemand an ihrer Meinung Anstoss nehmen darf. Es ist der Staat, der kein Recht hat, Sie in ihrer Meinungsäusserung zu beschränken, Herr Löpfe. Niemand, nicht einmal die bösen Leute auf Twitter, hält Sie davon ab, aus reiner Bequemlichkeit völlig unangebrachte Begriffe zu benutzen. Das heisst leider aber auch, dass Sie sich die Kritik daraufhin gefallen lassen muss.

Und das kann unangenehm sein. Das kann anstrengend sein. Aber es ist unausweichlich. Denn so anstrengend es auch sein mag, immer wieder die eigenen Sprache und das eigene Verhalten zu überprüfen und anzupassen, ist es soviel schlimmer für jene Anderen, in einer Welt zu leben, in der sie nicht einmal so viel Respekt und Anerkennung wert sind, dass sich die Menschen bemühen, sie wenigstens sprachlich nicht zu attackieren.

Ich weiss, es ist halt furchtbar, dass man heutzutage dem Feedback seiner Leserschaft so ausgeliefert ist, und all das nur wegen diesem verdammten Internet! (Technology is bad, fire is scary, and Thomas Edison was a witch.) Geschenkt.

Ich kann verstehen, dass Sie es gewohnt sind, aus einer Haltung der Autorität zu sprechen. Es ist sicherlich eine Umstellung, dass sich das sehr monologisch strukturierte Medium, in dem Sie schon so lange arbeiten, zunehmend dialogischer entwickelt. Und natürlich muss es eine berufliche Herausforderung sein, auf einmal so intensiv mit Widerspruch von vermeintlicher Laienseite konfrontiert zu sein.

Das ist eine mögliche Erklärung für Ihre Verhalten, keine Entschuldigung.

Ich persönlich habe eine Abneigung gegen den Begriff politische Korrektheit. Über die Verwendung des Begriffes zur Diskreditierung von Anliegen von Minderheitsgruppen wurde bereits viel Wichtiges und Gutes geschrieben. Die Verzerrung, die sich aus dem Missbrauch des Begriffes ergeben hat, lässt sich beispielsweise leicht erkennen, wenn man den Begriff umschreibt und/oder definiert. Eine kleine Leseliste für Interessierte befindet sich am Ende dieses Beitrages, aber ich denke, dieses Zitat des Schriftstellers Neil Gaiman ist ein guter Einstieg:

I was reading a book (about interjections, oddly enough) yesterday which included the phrase “In these days of political correctness…” talking about no longer making jokes that denigrated people for their culture or for the colour of their skin. And I thought, “That’s not actually anything to do with ‘political correctness’. That’s just treating other people with respect.”

Which made me oddly happy. I started imagining a world in which we replaced the phrase “politically correct” wherever we could with “treating other people with respect”, and it made me smile.

You should try it. It’s peculiarly enlightening.

I know what you’re thinking now. You’re thinking “Oh my god, that’s treating other people with respect gone mad!”

 

Links:

https://www.dukeupress.edu/the-myth-of-political-correctness/index.html

http://fusion.net/story/180090/google-chrome-extension-replaces-political-correctness/

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