45: Mythos Frauendiskriminierung?

Dear Swiss people,

Mir ist natürlich bewusst, dass Gastkommentare gerne mal reisserisch und kontrovers formuliert werden und nicht grundsätzlich mit der Linie des Publikationsmediums übereinstimmen müssen.

Aber was sich die NZZ mit dem Beitrag von Robert Nef geleistet hat, geht wirklich auf keine Kuhhaut. So ein hanebüchenes, sinnbefreites und selbstgefälliges Geschwafel hab ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.

Umso skandalöser (aber wenig überraschend)erscheint mir, dass Blocherfreund Nef, der sich als Verfechter des Marktes sieht und selbst den Klimawandel leugnet, überhaupt in einer Zeitung wie der NZZ Gehör findet.

Schon der Titel lässt Schlimmes ahnen:

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Kann mir mal einer erklären, warum das immer so laufen muss? Warum können sich die Herren der Schöpfung nicht einmal dazu aufraffen, die negativen Effekte, die das Patriarchat auch auf sie hat (Stichwort toxic masculinity), zu analysieren, ohne direkt die Diskriminierung von Frauen über den Haufen werfen zu wollen? Frei nach dem Motto „Wenn’s für uns Nachteile gibt, können wir unmöglich von dem System profitieren“ ist das genau die Rhetorik, die auch von Leuten vertreten wird, die gerne von reverse racism sprechen.

Leute, stellt euch vor: Keiner behauptet, dass das Leben von Männern perfekt ist. Nicht einmal das Leben von weissen, gesunden, heterosexuellen Cis-Männern.

Feminist_Innen geht es nicht darum zu sagen, dass Frauen gut und Männer böse sind. Dieses elende „Frauen und Männer haben halt unterschiedliche Stärken“ aka „separate but equal“-Geschwafel ist daher  auch nicht mal ansatzweise ein Kompliment. Zu sagen, dass Frauen in der Partnerwahl einfach „rationaler Entscheidungen treffen“ und Männer das halt nicht können, ist kein Kompliment für Frauen, sondern entlässt Männer aus ihrer Verantwortung und schiebt das Gewicht der Entscheidung den Frauen zu, was dann zu übelkeitserregenden Aussagen führt wie:

Partnerwahl ist in unserer Kultur wahrscheinlich mehrheitlich «Damenwahl», und Frauen verhalten sich auf diesem Markt mehrheitlich weitsichtiger und rationaler als Männer.“

Leute, die ihre antiquierten Vorstellungen von Geschlecht mit so Ausdrücken wie „teils genetisch und teils soziokulturell fundiert“ beschreiben, ohne in ihren Ausführungen auf iiiirgendwelche wissenschaftliche Beiträge hinzuweisen, sollten einem sowieso suspekt sein. Egal, wie nett ihre (abscheulich verallgemeinerten) Aussagen über Frauen klingen mögen.

Sexismus ist immer noch Sexismus, auch wenn man was Nettes sagen will.

Das nennt sich dann benevolent sexism und das ist im Gegensatz zu Nefs albernen Theorien tatsächlich ein erforschtes Phänomen. (Mehr dazu hier und hier.)

Wie wenig guter Willen dem benevolent sexism zu Grunde liegt, lässt sich leicht zeigen: Aus der besonderen „Begabung“ der Mutter in der Erziehung und emotionale Pflege von Kindern wird schnell ein boshafter Plan, die Männerwelt in Sklaverei zu halten:

Besteht ein Handlungsbedarf, mit staatlichem Zwang gegen solche frühkindliche Prägungen durch Mütter vorzugehen? In vielen Kulturen werden Knaben von Müttern bewusst so erzogen, dass sie in Alltagsfragen lebenslänglich «frauenabhängig» bleiben. Wer diskriminiert hier wen, und wer macht wen von wem abhängig? Da wird offensichtlich für einmal zu wenig hinterfragt.

Und dann noch mit so alten Schoten wie der höheren Lebenserwartung von Frauen aufzuwarten ist schon echt gelungen:

Der Selektionsdruck in einer traditionell männerdominierten Arbeits- und Staatsorganisation hat die Frauen vielerorts zum stärkeren und realitätsnäheren Geschlecht werden lassen, was sich in einer höheren Lebenserwartung manifestiert.

Fun Fact: Verheiratet sein erhöht die Lebenserwartung von Männern signifikant, senkt sie aber für Frauen.

Aber was dem Fass wirklich die Boden ausschlägt, ist der folgende Abschnitt:

Ein wohl wegen der «politischen Unkorrektheit» im Zusammenhang mit «Gender-Fragen» kaum untersuchtes Phänomen ist die Diskriminierung von Frauen durch Frauen. Sie beruht auf einer mehr oder weniger ausgeprägten «Klubbildung» unter Frauen und auf der damit verbundenen Klubsolidarität, die ein psychologisch bedingtes, aber ökonomisch relevantes Diskriminierungspotenzial hat. Alleinstehende Frauen bilden einen Klub, geschiedene ebenfalls, dann gibt es die alleinerziehenden, die verheirateten ohne Kinder und die verheirateten mit Kindern, die sich ihrerseits wieder in «Berufstätige», «Teilzeitberufstätige» und «Vollzeitmütter» aufgliedern – alles Lebensmuster mit einem Bündel von Vor- und Nachteilen, die mit Pauschal- und Vorurteilen belastet sind und auf die man unter Frauen gegenseitig Neid entwickeln kann.

 

EILMELDUNG: FRAUEN DOCH NICHT ALLE GLEICH. ALSO, EIGENTLICH SCHON, ABER IRGENDWIE NICHT??? MÄNNER IN TIEFER VERWIRRUNG.

Obwohl Herr Nef also augenscheinlich beobachten kann, wie die Interessen verschiedener benachteiligter (Sub-)Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, während sie versuchen, sich selbst in diesem Diskriminierungssystem zu behaupten, kommt er nicht auf die Idee, das könnte irgendwas mit dem Patriarchat zu tun haben. Viel eher tippt er da auf Stutenbissigkeit.

Das Personalwesen ist heute häufig in Frauenhänden, und es wäre eine empirische Untersuchung wert, wie viel Bereitschaft bei alleinstehenden kinderlosen Frauen vorhanden ist, eine beruflich qualifizierte Familienmutter als Wiedereinsteigerin anzustellen.

Genau. Weil Frauen haben ihre eigene Diskriminierung selbst erfunden. Weil sie keinen Bock auf Karriere hatten.  Es kann ja nicht sein, dass diejenigen Frauen, die in diesem System aufsteigen und oben bleiben wollen, einander für die wenigen Plätze an der Spitze bekämpfen müssen und sich den Habitus ihrer männlichen Vorgänger und Vorgesetzten zu eigen gemacht haben.

Ein alter Trick. Den Benachteiligten die Schuld an ihrer Ausbeutung zu geben und sie gegeneinander auszuspielen ist wirklich ein ganz, ganz alter Hut. Funktioniert genauso bei Arbeitern und in rassistischer Logik.

Überhaupt nimmt das Thema Kinder eine ganz zentrale Stelle in Nefs Irrsinn ein:

Dass viele Frauen mindestens zeitweise ihre Prioritäten im privaten, familienbezogenen Bereich setzen, ist wahrscheinlich optional und aus der Sicht einer persönlichen Optimierung von Lebensglück und Lebenssinn auch rational. Dass sich solche Präferenzen auf das Leistungsangebot und damit auch auf den Lohn auswirken, ist selbstverständlich. Wer hier auf der Basis einer egalitären Gender-Philosophie einen gesetzlichen Zwangsausgleich fordert, greift in subtile Bereiche persönlicher Lebensgestaltung ein.

Demzufolge scheint es so zu sein, dass Männer nie Kinder oder ein Privatleben wollen? Natürlich nicht! Aber das suggeriert Nef hier genau. Dabei unterschlägt er allerdings, dass Frauen doch recht häufig mit Männern Kinder haben, die also doch auch irgendwie daran beteiligt sind. (Wahrscheinlich wurden ihnen die Bälger eh untergejubelt. Jaja.) Nef argumentiert, dass Frauen, wenn sie halt unbedingt Kinder wollen, was durchaus lobenswert ist, mit den Abstrichen in der Karriere leben müssen.

Da frage ich mich doch erstmal: Warum gilt das nicht auch für Männer? Warum hat es keinen negativen Einfluss auf deren Karriere, wenn sie Kinder haben?

Antwort: Weil sie meistens Partner haben, die für sie zurückstecken.

Ja, es gibt Männer, die sich eine Auszeit nehmen, die Teilzeit arbeiten und einen angemessenen Teil der Erziehung übernehmen. Nach eigenen Aussagen gehört auch Nef zu diesen Männern. Allerdings gibt es nur sehr wenige von ihnen. Und die Umstände sehen nicht rosig aus. Wie es um den Vaterschaftsurlaub in der Schweiz steht, wissen wir ja bereits. Und das Stigma um Krippen für Kleinkinder ist auch nicht gerade ohne. Reden wir gar nicht erst von Alleinerziehenden oder Paaren mit nur einem erwerbstätigen Partner.

Inwiefern ist es also eine persönliche Präferenz von Müttern, ihre Karriere zumindest kurzfristig zurückzustellen? Wer kann ernsthaft behaupten, dass hier eine freie Wahl vorliegt?

Es ist eine bodenlose Frechheit zu behaupten, Frauen hätten ja alle Fäden in der Hand, weil sie sich ihre Partner aussuchen und selbst Kinder gebären können und dafür leeeediglich klitzekleine Abstriche bei der Arbeit in Kauf nehmen müssen. Ihr wisst schon, im Tausch gegen den Luxus, Kinder aufziehen zu dürfen. Komisch, dass Männer so einen Kuhhandel nicht brauchen.

Anstatt sich dafür einzusetzen, dass längst nötige Reformen (Elternzeit auch für Väter, Ausbau von staatlicher Kinderbetreuung) es allen Menschen erlauben, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen, setzen sich so Leute wie Nef hin und geben lieber den Frauen die Schuld, weil die sich nicht gewerkschaftlich organisieren und das einklagen, was ihnen Nef zufolge ohnehin nicht zusteht.

Kinderkriegen ist Frauensache. Kinderaufziehen ist Frauensache. Für Frauenrechte einstehen ist auch Frauensache. Aber dazu kommt es nicht, weil Frauen einander nicht helfen. Schön zu sehen, wie die Männer hier fein raus sind.

Man könnte meinen, da wäre ein System dahinter.

3 Kommentare

  1. Was sind denn nun die genauen belege für das Patriarchat?

    Ist das nicht auch eine Theorie, die Frauen Verantwortung abspricht?

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  2. Loss dich doch mol wieder einisch richtig nagle, denn muesch nümm so Seich uselah.

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    1. Ich hoffe, das ich den Kommentar von Sylvia falsch gelesen / verstanden habe. DIE klassische Reaktion auf eine Frau, die sich über das Sytem beklagt: Eine Ferndiagnose des Sexuallebens inklusive einer Therapie wird geliefert unter der Vorstellung, dass die Hysterie eine rein weibliche Erkrankung ist.
      Die Vorstellung, dass sich eine zu wenig mit Samen benetzte Gebärmutter ans Gerhirn andockt und den Geistestzustand negativ beeinflusst, gehört in Geschichtsbücher. Wenn sich der Herr priviligierter Ausländer z.B. über den Arbeitsmarkt beschweren würde, wäre die Reaktion anders. (In der leicht utopischen Annahme, dass nicht die „Faule Ausländer“-Karte gezogen wird) Niemand würde ihm aber sagen, er solle mal wieder richtig „geritten“ werden!

      Kurzum; Ihr Kommentar ist unter aller Kanone! Eine Frechheit, die sich auch auf Sie selber bezieht, wenn Sie sich das genau überlegen.
      Hut ab dafür, dass die Bloggerin (ist diese Bezeichnung ok?) den Kommentar nicht unterdrückt hat.

      Ich fand den Artikel an sich zu kurz. Mehr Argumente und Fakten schaden nicht.

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